Festakt Elysee Vertrag

60 Jahre Elysee Vertrag

Festakt Elysee Vertrag

60 Jahre Elysee Vertrag

Vielen Dank für die Gelegenheit anlässlich des 60. Jahrestags des Elysee-Vertrags zu Ihnen sprechen zu dürfen.

Zunächst sollte man auch demütig sein. Denn wir sprechen von 1963 - Was mir eindeutig anzeigt, und wenn ich in die Runde schaue, dass wir zu diesem Ereignis nichts beigetragen haben. Ich gehöre quasi zur Enkelgeneration der Unterzeichner, darf dieses historische Erbe honorig verwalten und erhalten. Wobei - ein Erbe darf man nicht nur erhalten und verwalten, man muss es schätzen und im Sinne der Erblasser weiterentwickeln. Und wir wissen auch, dass gerade die Enkelgeneration oft in der Erbfolge die erste problematische Generation darstellt.

Aber zurück zum Thema:

Konrad Adenauer und Charles de Gaulle unterzeichneten in Verdun einen Freundschaftsvertrag für eine umfassende Zusammenarbeit. Und die beiden haben es von Herzen ernst gemeint. Ihnen ging es darum, die beiden Völker so eng aneinander zu binden, dass kriegerische Auseinandersetzungen definitiv ausgeschlossen werden können.

Ein Seitenhieb und ein weitreichender historischer Rückblick seien mir hier gestattet:

Der Seitenhieb: Adenauer und de Gaulle, im heutigen Sprachgebrauch waren das alte weiße Männer. Das sollte man ab und an betonen, auch alte weiße Männer können historisches leisten. Noch deutlicher: es konnte nur die Generation mit der unmittelbaren Kriegserfahrung sein, die es zu dieser historischen Großtat drängte. Der 2. Weltkrieg war erst 18 Jahre vorbei. Jedes Land hatte genug eigene innere Probleme, Deutschland hätte als geteiltes Land auf die internationale Strafbank gehört. Diese alten weißen Männer waren sich sicher: Nie wieder durfte ein deutsch-französischer Konflikt einen Krieg auslösen. Menschen werden nicht automatisch vernünftig. Kriegserfahrung führt nicht automatisch zum Frieden. Zwischen dem 1. und dem 2. Weltkrieg lagen lediglich 21 Jahre. Aus heutiger Sicht, unglaublich wie sich die Europäer- und vor allem die Deutschen - von einem blutigen Abenteuer ins nächste, blutigere stürzten.

21 Jahre - vor Ablauf dieser Zeitspanne einen unkündbaren Friedensvertrag zu etablieren. Ich glaube, auch das hat die beiden alten Männer angetrieben. Ganz einfach, weil sie wussten: politische Zeitfenster bleiben nicht ewig geöffnet. Und weil sie wussten, dass Kriegserfahrungen nicht zwangsläufig zum dauerhaften Frieden führen. Weil Menschen zu schnell vergessen. Aber man könnte auch sagen: mit diesem Friedensvertrag sollte zusammenwachsen, was zusammengehört. Deutschland und Frankreich, Ende des 19. Jahrhunderts und im 20. Jahrhundert, scheinbar in historischer Feindschaft verbunden. Das ist nicht logisch und schon gar nicht begründbar. Und jetzt kommt der große historische Rückblick.

Denn immerhin: mit Karl dem Großen waren wir im Jahre 800 schon einmal vereint. Franzosen und Deutsche, beides zusammen und als Kaiserreich.

Übrigens zwei historische Tatsachen sind interessant: Hauptgegner Karl des Großen war der Sachsenkönig Widukind. Und trotzdem: In seiner letzten Regierungsperiode (alter weißer Mann) begnadigte Karl Widukind ritterlich und der Sachsenkönig ließ sich taufen.

Danach war das Reich geordnet - bis die Enkelgeneration nach der Macht griff. Und dann entstand das West-, das Ost- und das sogenannte Mittelreich. Wenn man es so will hat die Enkelgeneration das Erbe Karl des Großen verspielt.

Und das führt mich zurück in die Gegenwart: Adenauer und de Gaulle die Großelterngeneration, Kohl und Mitterand die Elterngeneration: sie haben die Idee des Elysee-Vertrags großartig weiterentwickelt - Die europäische Union wurde gegründet. Diese Woche konnten wir sogar den 30. Jahrestag des Europäischen Binnenmarktes feiern. Die heutige Generation kennt in der EU keine Grenzen mehr. Übrigens während der Coronamaßnahmen haben gerade die jungen Menschen verwundert realisiert, wie kleinteilig Europa wurde.

Ja, für uns auch ganz wichtig: Die deutsch- französische Freundschaft hat auch die Wiedervereinigung von Deutschland ermöglicht und uns eine gemeinsame Währung beschert. Für Frankreich war die Aufgabe der D-Mark zugunsten einer europäischen Währung der Friedensbeweis für die Französisch-Deutsche Freundschaft. Ohne den Friedensvertrag von 1963 hätte es keine deutsche Einheit gegeben. Warum? Ganz einfach. Weil ein funktionierender und lebendiger Friedensvertrag die notwendige Vertrauensreserve geschaffen hat.

Tja, und nun zur Enkelgeneration. Mit der deutschen Kanzlerin Merkel ein guter Anfang. Das deutsch-französische Gespann wird oft als Motor der EU definiert. Oder anders formuliert: Wenn Deutschland und Frankreich zusammenstehen, bewegt sich etwas in Europa.

Und dann die Finanzkrise, Brexit, Corona, Ukrainekrieg.

Der deutsch-französische Motor, von den anderen Mitgliedstaaten kritisch kommentiert...andererseits ist es für unsere Partner irritierend, wenn Frankeich und Deutschland keinen Konsens bilden. Denn bei allem Stolz auf das Erreichte: Grund zur Selbstzufriedenheit haben wir nicht. Wir sehen doch die Herausforderungen. Und damit wächst das Bewusstsein, dass wir sie angehen müssen. Was erreicht wurde, ist uns Ansporn. Ansporn, die Grundlagen des Elysée-Vertrages den veränderten Herausforderungen unserer Zeit anzupassen. Herausforderungen, von den wir wissen, dass wir sie nur gemeinsam lösen können. Gemeinsam in Europa.

Als Europaabgeordneter arbeite ich regelmäßig auch in Straßburg. Hier sehe ich die beeindruckende Entwicklung, die gerade die Grenzregionen genommen haben: Städte, Landschaften wachsen zusammen, Franzosen und Deutsche arbeiten ganz selbstverständlich rechts des Rheins und wohnen links davon – und umgekehrt. Diese Eurodistrikte wollen wir weiter stärken. Denn hier wird die deutsch-französische Zusammenarbeit gelebt, täglich.

Der Elysée-Vertrag gründete 1963 auf dieser Vision einer deutsch-französischen Freundschaft. Charles de Gaulle und Konrad Adenauer gingen dabei von den Realitäten aus:
Denn natürlich gab und gibt es noch Unterschiede, natürlich sind Franzosen und Deutsche anders, sie folgen spezifischen Traditionen und sie haben legitime eigene Interessen. Nur weil wir das wissen, können wir erreichen, was wir gemeinsam wollen. Und gerade deshalb etablierten wir mit dem Elysée-Vertrag Mechanismen und Regularien der Zusammenarbeit auf Regierungsebene, durch die wir trotz unserer Unterschiede zu Vereinbarungen kommen.

Vor allem müssen wir die Europäische Union an die Menschen zurückgeben.

Der Eindruck: Hier die Menschen, dort die Brüsseler Kommission.

Auch wenn es nicht stimmt, schon der Eindruck ist fatal und -siehe BREXIT - selbstzerstörerisch. Die EU ist nicht gemacht für die politischen Eliten, sondern für die Menschen.

Und da brauchen wir Sie!

Es reicht nicht, wenn sich die Präsidenten der 27 Mitgliedstaaten treffen und schöne Bilder produzieren. Die Menschen müssen sich treffen. ERASMUS, der Austausch von Studierenden und Auszubildenden. Wir müssen die Sprache des anderen lernen.

Wir müssen einander verstehen, denn ob wir wollen oder nicht: Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit, eine gemeinsame Gegenwart. Es liegt an uns, ob wir auch eine gemeinsame Zukunft haben.

Vor allem wollen wir die Angebote erweitern, die Sprache des Nachbarlandes zu erlernen. Das ist bitter nötig. Denn wer sprachlos bleibt, kann sich nicht verständigen. Aber auf dieser Verständigung unter Menschen baut die politische Zusammenarbeit auf. Erst durch sie lebt die deutsch-französische Freundschaft in der Gesellschaft.

In der europäischen Geschichte haben viele große oder weniger große Persönlichkeiten versucht, den europäischen Kontinent zu einen, mit Blut und Schwert. Das erste Mal versuchen wir es friedlich - es wäre grotesk, wenn wir auch diese Möglichkeit vermasseln. Deshalb sind Jahrestage Tage des Gedenkens. Aber vor allem sind sie Mutmacher für das Kommende. Es gibt noch viel zu tun. Packen wir es an!